Eine Seilbahn für Tiers

Blick auf den Rosengarten vom Wuhnleger aus. © Katharina Moser

Autorin: Katharina Moser.

Nicht nur für Dolomitenbegeisterte und Bergenthusiasten sind das Schlerngebiet und der Rosengarten ein vielversprechender Begriff. Die meisten haben bereits von den idyllischen Wanderwegen, alten Höfen, den Panoramen wie aus dem Bilderbuch und den urigen Almhütten gehört. Für Südtirolurlauber gibt es eine Vielzahl an Orten, die den unterschiedlichsten Grad an Entspannung, Abenteuer und Unterhaltung bieten. Bisher galten kleinere Gemeinden wie Völs und Tiers noch als von den Mühlen des Massentourismus unberührt, frei von großen Immobilienprojekten, Besuchermassen und enormer Infrastruktur. Dies könnte sich durch eine Seilbahn in Tiers nun ändern.

Wer bisher Tiers besucht hat, genießt die Ruhe, die das Örtchen am Fuße des Rosengartenmassivs ausstrahlt. Etwa eine knappe halbe Autostunde von Bozen entfernt, ist das Dorf, das gute tausend Einwohner bemisst, Ausgangspunkt für zahlreiche Wanderungen ins Rosengarten- und Schlerngebiet. Bergsteiger jeder Konstitution und Erfahrung kommen zwischen den Felsen und auf den Gipfeln, auf Almwiesen und Hütten auf ihre Kosten. Viele genießen, dass eine zusätzliche Ausweitung der touristischen Infrastruktur bisher ausgeblieben ist – noch finden sich hier weder große Hotelkomplexe, noch Seilbahnen, große Parkplätze und Tiefgaragen. Doch der Wandel, der umliegende Ortschaften längst erfasst und Dörfer wie Welschnofen oder Deutschnofen längst zu saisonal überfüllten und verbauten Touristenzentren gemacht hat, scheint nun auch vor Tiers, einer der letzten Bastillen des unaufdringlichen Besuchertums, nicht halt zu machen.

Im September letzten Jahres wurde der Bau einer Seilbahn von Tiers aus zur Frommer Alm bei Welschnofen von der Dienststellenkonferenz der Umweltämter genehmigt. Die Umsetzung soll bereits diesen Winter beginnen.

Die Tierser Seilbahn, ein Vorhaben der Tierser Seilbahn AG, soll den Ortsteil St. Zyprian mit dem Skigebiet Carezza verbinden und verflochten mit der Mittelstation der im Bau befindlichen König Laurin-Bahn sein. Die Zahlen rund um die Bahn stehen fest: Auf einer Strecke von 3,8 km überwindet die Seilbahn 644 Höhenmeter und bietet in ihrer Kabine, die sieben Minuten Fahrtzeit benötigt, 60 Fahrgästen Platz. Ziel der Bahn soll vorrangig die Stärkung des Wintertourismus rund um Tiers sein, das bisher hauptsächlich in der Sommersaison größere Besucherzahlen generierte. Im Winter beschränkte sich der Tourismus auf eine kleinere Zahl von Gästen, die an Nischenaktivitäten wie Schneeschuhwandern teilnahmen. Skitourismus war mangels einer Anbindung an das Netzwerk von Skipisten eher geringfügig. Laut Machbarkeitsstudie liegen 80 Prozent der Bettenbelegungen in Tiers zwischen Mai und Oktober; im Winter bleiben viele Gastbetriebe ganz geschlossen. Welschnofen hingegen erzielt durch die direkte Anbindung an die Skizone um Carezza auch im Winter höhere Zahlen an Nächtigungen. Durch die Seilbahnanbindung soll der Tierser Wintertourismus aktiviert werden, und Tiers somit nachhaltig als Wirtschaftsstandort gestärkt werden. Gleichzeitig soll das Skigebiet selbst profitieren und mit einem Shuttlebus an das Schlerngebiet angeschlossen werden.

Wirtschafts- und Tourismusvertreter sehen in der Seilbahn eine große Chance. Der Bauplan ist bereits umfassend ausgearbeitet und sieht eine klassische, mit Elektromotor betriebene Pendelbahn mit Trag- und Zugseilen vor. Sowohl Berg- als auch Talstation sollen unterirdisch unter den Wiesen verschwinden. Mit vier Fachwerkstützen ausgestattet, soll die Bahn vor allem über den Wald, vereinzelt auch über Almwiesen, verlaufen. Baumschlag soll weitestgehend vermieden werden, auch Baustellenzufahrtstraßen sind nur begrenzt nötig, da bereits Forststraßen vorhanden sind.

Immerhin, so sehen es die Kritiker des Vorhabens, soll die Seilbahn keine Einrichtung zusätzlicher Skigebiete zur Folge haben. Wohl aber wird ein deutlich größerer Parkplatz benötigt. Zwar befindet sich die Talstation an einem Verkehrsknotenpunkt, an dem sich bereits ein Kreisverkehr und eine Bushaltestelle befinden. Die Machbarkeitsstudie weist aus, dass jedoch ein Parkplatz mit 250 Stellplätzen nötig sein wird. Diese Fläche entspricht ganzen 6250 Quadratmetern. Das weckt in vielen Dolomitennostalgikern ungute Erinnerungen an den Sommertrubel in Welschnofen, Seis oder im Fassatal. Erwägt wird auch der Bau eines Servicegebäudes. Die Beurteilung durch das Umweltamt gibt zumindest Entwarnung, was ökologische Gefahren angeht. Risiken sowohl geologischer Art, als auch in Form von Wasserverschmutzung, Erdrutschen und Lawinen könnten ausgeschlossen werden. Das Skigebiet Carezza, selbst Hauptprofiteur des Baus, lobt gar die Vision von einem autofrei erlebbaren Hochplateau unterm Rosengarten. “So kann man künftig umweltfreundlich zu Fuß, mit dem Rad oder mit den Bahnen bis zum Karersee und wieder retour wandern bzw. radfahren“, so Florian Eisath, Geschäftsführer der Carezza Dolomites.

Zwar mag das 15 Millionen Euro teure Bauprojekt nicht direkt in das Nationalparkgebiet eingreifen. Es bereitet dennoch zahlreichen Naturliebhabern große Sorgen. Viele Besucher schätzten Tiers und das Umland gerade für die Abwesenheit des großen Massenrummels, dem man in anderen Dolomitenorten nur wenige Kilometer weiter nicht mehr entfliehen kann. Tiers stand für einen persönlicheren, traditionelleren Tourismus. Viele Menschen suchen durch Urlaub auf Bauernhöfen die Nähe zu den Einheimischen und der Südtiroler Kultur. Einkehren auf den Almen bedeutet Herzlichkeit, Wandern auf den Steigen in der Nähe Ruhe, Unberührtheit und, mit ein bisschen Glück, auch Einsamkeit. So mancher nostalgischer Tiersbesucher sieht nun einen der letzten Rückzugsorte in den Dolomiten schwinden. Denn die Anbindung an Welschnofen und die großangelegte Aktivierung der Gästezahlen wird nicht ohne Folgen bleiben.

“Es ist furchtbar. Nun wird auch noch dieser Ort verschandelt. Ich fahre hier seit meiner Kindheit hin, deswegen tut es besonders weh“, sagt ein Deutscher, der die Gegend in Südtirol inzwischen fast als seine zweite Heimat ansieht. “Ich weiß nicht, ob ich da jetzt noch hinfahren werde – es wäre einfach zu traurig, das zu sehen, wenn man weiß, wie es vorher war.“

Am Boden des Konflikts um die Bahn ist die Doppelmoral des typischen Touristen: Man möchte die bestmögliche infrastrukturelle Anbindung an eine größtmögliche Anzahl von Aktivitäten erhalten, dabei aber gleichzeitig eine unberührte, traditionelle Natur und Kultur konsumieren. Beides wird nicht möglich sein. Dass auch Tiers sein touristisches Potenzial noch weiter ausschöpfen möchte, ist nur logisch. Viele waren überrascht, dass es bisher noch nicht so weit gekommen war. Doch auch unter den Einheimischen ist das Großprojekt nicht ganz unumstritten.

“Lokale Umweltschützer sind natürlich gegen den Bau. Aber es gibt auch viele, die nicht direkt von der Seilbahn profitieren, wie zum Beispiel die Tierser Anwohner, und daher den Bau für einen Fehler halten“, so ein lokaler Bauer, der in einer Nachbargemeinde eine Milchwirtschaft betreibt und auch Ferienwohnungen an Urlauber vermietet. “Interessant ist das ganze vor allem für Hotelbetreiber. Aber auch wir, die Urlaub auf dem Bauernhof anbieten, könnten profitieren. Gerade Leute mit Beeinträchtigungen oder ältere Leute werden von der Bahn vielleicht überzeugt, hier Urlaub zu machen“, wägt er ab. Doch komplett hinter dem Projekt steht er nicht. “Es war hier auch die Rede davon, die Seilbahn womöglich weiter mit anderen Stationen zu verbinden, zum Beispiel der Seiser Alm. Das würde aber eine unzumutbare Zerstörung der Wälder und der Kulturlandschaft bedeuten. Die ist aber ebenfalls sehr wichtig für uns Bauern. “ Auch seine Tochter, die in Bozen zur Schule geht und Teil einer neue Generation von Südtirolern ist, ist zwiegespalten. “Vorausgesetzt, durch die Bahn fahren tatsächlich weniger Autos auf dem Karer Pass, ist das sicherlich gut. Den Verkehr zu reduzieren wäre wichtig, sowohl wegen der Abgase als auch wegen der Verkehrsunfälle auf der kurvenreichen Straße. Hält das Projekt sein Versprechen, umweltfreundlich zu sein, dann ist es in Ordnung. Aber ich befürchte, dass viele Leute wegen des hohen Ticketpreises dann doch ihr Auto bevorzugen.“ Feuer und Flamme sind also selbst diejenigen nicht, mit deren Profit die Bahnbetreiber werben. Wie groß die Veränderungen, und wie gut sie für die Menschen sein werden, wird die Zukunft zeigen. So verbaut und überfüllt, wie manche Orte es im italienischsprachigen Teil bereits sind, wird Tiers wohl auch dann nicht werden. Doch eines steht fest: Das Tiers, wie wir es kennen, wird es zumindest genau so nicht mehr lange geben.

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