Autorin: Katharina Moser.
In Australien ist eine junge ehemalige Mitarbeiterin des nationalen Parlaments mit Vergewaltigungsvorwürfen an die Öffentlichkeit getreten. Die Nachricht wirft erneut ein Schlaglicht auf das zuweilen als frauenfeindlich kritisierte Arbeitsumfeld des Parlaments.
Die heute 26 Jahre alte Brittany Higgins, ehemalige Medienberaterin der australischen Verteidigungsministerin Linda Reynolds, gab in einem Interview gegenüber dem australischen Nachrichtenportal news.com.au an, von einem Kollegen im nationalen Parlament in Canberra vergewaltigt worden zu sein. Der Vorfall soll vor etwa zwei Jahren stattgefunden haben. Nach einer Feier mit Kollegen habe ihr der junge Mann, der, so Higgins, ein aufsteigender Stern in der Liberal Party gewesen sein soll, angeboten, sie nach Hause zu fahren. Unter dem Vorwand, noch etwas abholen zu müssen, sei er mit ihr stattdessen zum Parlamentsgebäude gefahren und habe sie mit in das Büro der Verteidigungsministerin genommen. Dort sei sie unter Alkoholeinfluss auf der Couch eingeschlafen, und mitten während der Vergewaltigung aufgewacht.
Die Mitarbeiterin gibt an, kurz darauf Reynolds und ein Dutzend andere Mitarbeiter über den Vorfall informiert zu haben. Sie sei auch zur Polizei gegangen, habe jedoch dort die Anschuldigungen nicht weiterverfolgt, da sie sich zwischen Aufklärung und ihrem Beruf habe entscheiden müssen. “Sie haben mir bewusst das Gefühl gegeben, dass ich meinen Job verlieren würde, damit ich nicht zur Polizei ging.“ Später jedoch kündigte Higgins unter großem psychologischen Druck und ging auf eine Untersuchung sexuellen Fehlverhaltens in der Liberal Party durch die Australian Broadcasting Company hin an die Öffentlichkeit. Higgins sagte ferner, nur wenige Tage nach der mutmaßlichen Vergewaltigung habe man sie zu einer Besprechung der Vorwürfe gerufen, aber dies ausgerechnet im Raum der Tat. Man habe ihr nach dem Vorfall die Wahl gegeben, nach Westaustralien zu wechseln und im dort ansässigen Team für Reynolds zu arbeiten, oder nach Hause zu gehen. Es sei ihr jedoch klargemacht worden, dass sie in diesem Falle nicht mehr ihren ursprünglichen Job zurückerhalten würde. Higgins ging also nach Westaustralien, und arbeitete im Anschluss daran für zwei Jahre für Arbeitsministerin Cash. Diese habe auf ihre Schwierigkeiten, wieder im Parlamentshaus zu arbeiten, mit der Aufforderung reagiert, es “einfach herunterzuschlucken.“
Die Nachricht hat einen Aufschrei in der australischen Öffentlichkeit verursacht. Viele sehen die mutmaßliche Vergewaltigung als einen weiteren Beweis von vielen, dass Belästigung und Fehlverhalten auf der Bühne der nationalen Politik in Australien mehr als nur Einzelfälle sind. Nach Angaben des australischen Statistikamts hat eine von sechs Frauen über 15 Jahren Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht. Wie schon die New York Times schreibt, hat die Liberal Party seit langem den Ruf, feindseliges Verhalten gegenüber Frauen in den eigenen Reihen an den Tag zu legen. Julia Banks, ehemaliges Mitglied der Koalition, twitterte, wieder einmal zeige das Parlament, dass es die unsicherste, höchst toxische Arbeitsplatzkultur für Frauen im ganzen Land habe. Sie selbst hatte 2018 die Partei verlassen und Sexismus als Grund genannt. Kritiker beklagen seit längerem eine Kultur der Misogynie unter der Regierung, in der man sich stur gegen Veränderung im Zuge der #MeToo-Bewegung sträube und sexistische Bemerkungen und Mobbing gegenüber Frauen an der Tagesordnung seien.
Auch andere weibliche Mitarbeiter der Regierung und im Parlament haben frauenfeindliche Erfahrungen gemacht. Es reicht von respektlosem Unterbrechen weiblicher Kollegen, wie bereits durch Premier Morrison selbst, bis zu offenen Beleidigungen. Bekannt wurde der Fall der Senatorin Sarah Hanson-Young, die einen männlichen Abgeordneten verklagte, nachdem dieser sie sexistisch beschimpft hatte.
“Es gibt eine seltsame Kultur des Schweigens in den Parteien … Die Idee, sich zu dieser Art von Themen zu äußern, vor allem während eines Wahlkampfs, ist so, als würde man das Team im Stich lassen, man ist kein Teamspieler”, erklärte Higgins ihre bisherige Unsicherheit im Umgang mit dem Erlebten. Nun will Higgins die Klage bei der Polizei wieder aufgreifen.
Gegenüber der New York Times, die den neuesten Fall direkt aufgriff, beschrieb die führende Anwältin für Opfer sexueller Verbrechen in Australien, Nina Funnell, dass Frauen oft dort Opfer sexueller Gewalt werden, wo männliches Privileg und Macht wortwörtlich in den Mauern verankert seien. “Dementsprechend bringen Männer ihre baldigen Opfer oft an Orte, wo sie ihre Macht als geschützt empfinden.“
In einem Medienstatement nannte die Regierung die Vorwürfe “zutiefst beunruhigend“ und versicherte, sie bereue, wenn Higgins sich nicht unterstützt gefühlt habe. Sie erhob jedoch gleichzeitig den Anspruch, dass Reynolds sie ermutigt habe, mit der Polizei zu sprechen.
Auch Reynolds verneinte, Higgins unter Druck gesetzt und ihr die Kündigung angedroht zu haben. “Meine einzige Priorität in dieser Angelegenheit war das Wohlergehen meiner damaligen Mitarbeiterin und sicherzustellen, dass sie die Unterstützung erhält, die sie benötigt.“ Premierminister Scott Morrison sagte, er nehme “alle Angelegenheiten der Sicherheit am Arbeitsplatz sehr, sehr ernst. Jeder sollte sich an seinem Arbeitsplatz sicher fühlen, wo auch immer das ist.“ Auf Nachfrage hin sagte Higgins im Interview, ihr mutmaßlicher Vergewaltiger habe seine Stelle in Canberra verloren, aber sonst nie Konsequenzen zu spüren bekommen und arbeite in einem guten Job in Sydney.