
Autorin: Katharina Moser.
Ikone des Hip Hop, Legende der amerikanischen West Coast, Pate des G-Funk – es gibt wenige, die so viel zum Hip Hop beigetragen haben wie Warren G. Der Halbbruder Dr. Dre`s und bester Freund Snoop Doggs schrieb Musikgeschichte mit dem Hit “Regulate“, die erfolgreichste Rap-Single, die jemals geschrieben wurde. Ein Gespräch mit einem sympathischen, bescheidenen Rapper über Corona, Rassismus und G-Funk.
„ `And You Know That` ist ein wirklich guter Song. Einfach ein Hit“, sagt Warren G, zieht sich seine Schuhe an und lächelt. Das ist der ikonische Rapper heute: Entspannt, eindeutig, selbstbewusst. In seinem Haus in Kalifornien ist er nicht weit entfernt von den Waldbränden, die den Bundesstaat beuteln, aber direkt betroffen ist er nicht. Nicht so allerdings mit den zwei weiteren Krisen, denen sich sein Land gegenübersieht. “Was Corona angeht, ist es hier sehr anstrengend, da man vieles geschlossen halten muss. Aber sie finden Wege, wie man einiges mit Schutzmaßnahmen dennoch tun kann“, sagt er, und führt elegant vor, mit Maske zu atmen. “Wenn man sich die Proteste ansieht, geht es immer noch weiter und die Menschen müssen weiter protestieren, angesichts der vielen unnötigen Gewalt hier.“ Als er den jüngsten Fall eines jungen Schwarzen erwähnt, der von Polizisten in Wisconsin in den Rücken geschossen wurde, ist die Verzweiflung in seiner Stimme hörbar. “Es wird einfach wieder ein Vorfall von vielen sein. Aber es war Mord. Also müssen wir die Proteste aufrechterhalten, damit nicht ständig Schwarze solcher Gewalt zum Opfer fallen. Ich sage nicht, dass die ganze Polizei schlecht ist, es sind vielmehr ein paar faule Äpfel unter vielen. Aber das geht trotzdem nicht.“ Die Frage nach seiner eigenen Beteiligung an den Protesten wehrt er ab: “Ich war in Quarantäne und bin zuhause geblieben. Ich will mich jetzt bloß nicht mit Corona infizieren!“, ruft er und lacht ein wenig.
Aber wenigstens, und das hat jeder gemerkt, der sich die jüngsten Hitlisten angehört hat, war er wieder im Studio. Als Warren G seine Single “And You Know That“ mit Ty Dollar $ign veröffentlichte, erkletterte sie sofort die Spitzen der Charts. “Ich wollte einen Song produzieren, der einem ein gutes Gefühl gib, bei dem jeder sich eine Pause gönnen kann von all dem, was um uns herum passiert. Ich will damit nicht sagen, dass man sich nicht auf Corona und die Proteste konzentrieren muss, aber manchmal braucht man eine kleine Auszeit und einen anderen Vibe. Damit man dazu tanzen kann, feiern, rauchen.“ Doch für jeden, dem ein “Feel-good-record“ nicht reicht, fehlt es dem Stück auch nicht an einer Botschaft: “Es geht auch um einen Mann, der zum Empowerment von Frauen beitragen will und zu ihr sagt, dass er sie das Spiel lehren kann. Sie wird eine Geschäftsfrau wie er – beide enden in Malibu und essen Kaviar.“ Er lacht. Während manche an Tagen wie diesen wohl einen explizit politischen Song erwartet hätten, gibt Warren G zu, dass er genau das vermeiden wollte. “Wäre das Stück politisch, wäre es auch traurig und herzzerreißend. Ich hingegen wollte einen Song machen, der die Leute befreit von Stress, Wut und Schmerz.“
Seine Zielgerichtetheit und sein Intellekt gepaart mit seinem tiefenentspannten Vibe sind ein roter Faden, der sich von den Kinderschuhen des G-Funk, das heißt, den ersten Schritten seines Paten, bis heute erstreckt. Genauso auch die Fähigkeit, aufzustehen und Schwierigkeiten in der Musikindustrie zu meistern. Mr. Griffin war noch ein Teenager, als er mit seinen Kindheitsfreunden und gleichermaßen Legenden Snoop Dogg und Nate Dogg das Rap Trio 213 gründete. Alle drei waren in Long Beach, einer Stadt im Los Angeles County, aufgewachsen, und hatten am eigenen Leib erfahren, mit welchen Schwierigkeiten junge Schwarze zu kämpfen hatten. Es war Warren G, der die drei jungen Rapper mit Potenzial seinem Halbbruder Dr. Dre, der schon durch NWA anfängliche Berühmtheit erlangt hatte, vorstellte und ihnen so die Tür in die vielversprechende Welt der Musikindustrie öffnete. Warren G lernte die Kunst des Produzierens und Samplens bei niemandem anders denn Dr. Dre selbst, und Snoop Dogg und Nate Dogg entwickelten ihre Talente unter dessen Fittichen – hier wurden die Grundsteine eines ganzen Genres gelegt und die Geschichte des Hip Hop für immer verändert. “Ich wollte mehr sein als nur ein DJ, also begann ich zu produzieren. Ich wollte Teil dessen sein, was hier in dieser Gruppe von jungen Rappern aufgebaut wurde, nicht nur der Typ, der die ganze Zeit dort abhängt. Ich samplete, Dre hörte es sich an und dann ging es in The Chronic. So wie die Dinge liefen, hatten wir einfach Erfolg.“ Es war Warren G, dem Snoop Doggs und Nate Doggs Teilnahme an den Projekten zu verdanken war, und auch große Teile der Produktionsideen von Dr. Dres erstem Erfolgsalbum “The Chronic“ gingen auf ihn zurück. Umso größer war die Überraschung, als Dre nur Snoop Dogg und Nate Dogg einen Vertrag mit dem großen Label Death Row Records organisierte. “Ich musste meinen eigenen Weg finden“, sagt Warren G rückblickend, der stattdessen zum Label Def Jam ging und eine Solo-Karriere begann. “Natürlich war ich verletzt, nicht mit meinen Freunden und Brüdern, den Leuten, mit denen alles anfing, zu arbeiten. Aber es hat dann doch alles funktioniert, und wenn man sich anschaut, was ich zu Hip Hop beigetragen habe, sitze ich nun hier als eine Legende des West Coast Hip Hop. Es ist so, wie es ist.“ 1994 veröffentlichte Warren G den Song “Regulate“, ein Duett mit Nate Dogg, das im Hip Hop Ikonenstatus hat und eine der erfolgreichsten Rap Single ist, die je geschrieben wurden. Seine Karriere manifestierte sich mit der Veröffentlichung der Alben “Regulate… G Funk Era“, “Take a Look over Your Shoulder“ (1997) und “I Want It All“ (1999).
Das Erbe, das Warren G als einer der Begründer des G-Funk aufgebaut hat, ist ein bedeutsames. “G-Funk ist Musik, wo Musik Leben ist und Leben Rhythmus. Es ist ein Vibe – es bedeutet, anders zu sein – es ist `Chords, Strings, We brings, Melody`. Es ist ein sehr instrumentales Genre. G-Funk ist nicht die Geschichte, die du erzählst, sondern die Musik, zu der du sie erzählst“, erklärt Mr. Griffin und unterstreicht seine Pointe, indem er ein paar Zeilen aus “This DJ“ rappt (oder sollten wir sagen, singt?). Als ich ihn frage, ob andere Genres die Rolle des G-Funk übernommen haben, und ihm eine Art Widergeburt nicht schaden könnte, wird der sonst tiefenentspannte sechsfache Vater vehement. “Es wird niemals weggehen. Es war niemals nur für die 90er Jahre gedacht, es ist vielmehr ein Genre, das das ganze Leben umspannt. Ich werde es am Leben erhalten. Und es braucht keine Wiedergeburt, weil es in jedermanns Musik bereits enthalten ist. Wenn sie Rapper sind, aber es klingt, als würden sie singen – das habe ich damals begründet. Alle nutzen G-Funk, und somit steckt es in jeder Generation und jeder Kultur.“
Ob er sich jemals zu wenig anerkannt fühlt, wenn sich die Leute auf Snoop Dogg und Dr. Dre konzentrieren? “Manchmal. Ich denke, sie vergessen, jemanden zu erwähnen. Manche kennen die Geschichte nicht und die Rolle, die ich spielte. But I ain`t trippin`. Jeder, der mich unterstützt, weiß das und das kann mir niemand nehmen.“
Während seine Stücke oft auch ein Sprachrohr waren, um die Probleme junger Schwarzer in den Ghettos ans Licht zu bringen, war Warren G stets eine engagierte Stimme in der Gesellschaft. Als Obama 2008 zum ersten Mal für die Präsidentschaft kandidierte, produzierte er den Track “Mr. President“, der die Menschen zum Wählen aufruft und den neuen Präsidenten, sich um die Sorgen schwarzer Bürger zu kümmern . Zwölf Jahre später steht eine nicht weniger bedeutsame Wahl an. “Nein, ich will so etwas diesmal nicht machen. Aber wenn ich sehe, dass jemand zum Wählen aufruft, reposte ich das. Ice Cube hat ein “Contract for Black America“ entwickelt, das ich sehr gut finde. Biden will unsere Stimme, aber wir müssen wissen, welche Vorteile wir daraus ziehen können. Wenn Biden die Unterstützung der Schwarzen will, muss er sie sich verdienen, denn wir verlangen etwas im Gegenzug. Wir brauchen Veränderung in unseren Gemeinden. In anderen Ländern gibt es keine Gangs, keine Raubüberfälle, keine Gewalt in einem Ausmaß wie bei uns. Aber wir möchten den Menschen bewusst machen, dass wir ein besserer Ort sein können.“ In manchen Internetquellen heißt es, Warren G sei selbst in der Vergangenheit Mitglied einer Gang gewesen. Was ihn, offensichtlich, sehr wütend macht und er schnell korrigiert. “Ich bin kein Gangbanger! Ich wurde in die Gangkultur hineingeboren; wenn also Menschen herausfinden, dass ich in Kalifornien aufgewachsen bin, sagen sie automatisch, ich wäre ein Crip. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber ich bin kein aktives Gangmitglied, ich werde es auch nie sein, das ist nicht mein Stil. Hey, ich habe sechs Kinder!“
Es sind nicht nur die Gangs, die seit den 90ern dieselben geblieben sind, trotz der großen Hoffnungen, die die schwarze Bevölkerung auf Obama gesetzt hat. “Die Situation in den Vierteln ist immer noch so wie früher. Nun, eine Sache hat sich geändert: Den Leuten ist bewusst geworden, dass sie sich nicht auf die Regierung verlassen sollten, sondern vielmehr Arbeit suchen, anstatt auf Essensmarken zu warten. Diese Pandemie hat die Leute dazu gebracht, hart zu arbeiten, um zu überleben.“ Dabei hat Griffin selbst Polizeigewalt erlebt. “Ich wurde mehrmals zusammengeschlagen. Wir waren das gewöhnt, so war es einfach. In meiner Nachbarschaft gab es einige Polizisten, die es die ganze Zeit taten: wie ich sagte, ein paar faule Äpfel im Korb, nicht alle. Ich wurde einmal ziemlich auf dem Rücksitz eines Polizeiautos verprügelt. Aber da kann man nichts machen, außer die Schläge einzustecken und zu hoffen, dass sie dich nicht umbringen. Als ich berühmt wurde, hat das aufgehört. Das ist einer der Vorteile, eine Legende zu sein“, sagt Warren G und lacht. Als ich ihn nach seinen Hoffnungen frage, sollte Biden die Wahl gewinnen, ist seine Antwort genauso klar wie optimistisch. “Es wird definitiv Veränderungen geben.“ Definitiv? “Definitiv. Er will dazu beitragen, Rassismus zu beenden, also hoffentlich ist es genau das, was er tun wird und den Vertrag erfüllt, den das schwarze Amerika verlangt. Und mit Harris als erste weibliche Vizepräsidentin wäre es unglaublich. Ich hoffe, sie macht gute Arbeit. Aber es kann nicht schlechter werden, denn wir befinden uns schon ganz unten. Es kann nur nach oben gehen. Und wenn Biden und Harris gewinnen, denke ich, wird es einen signifikanten Wandel geben.“
Allerdings gibt es eine Sache, die Griffin nicht ändern möchte: Nein, die Waffengesetze sollen nicht strenger sein. “Die Leute müssen ihre Familien beschützen. Es gibt hier Leute, denen nichts heilig ist und die dich töten würden. Man wäre Freiwild. Manchmal braucht man es eben. Aber nur ausgebildet und registriert, natürlich.“
Als wir wieder auf Musik zu sprechen kommen, sind die Vorstellungen des Fünfzigjährigen klar. “In der Musik gibt es kein Alter! Man kann Hits produzieren, egal wie alt man ist. Aber das ist ein Problem mit den Firmen. Sie kategorisieren – aber man kann gute Musik nicht kategorisieren. Wenn es ein guter Song ist, kaufe ihn. Dre ist über fünfzig Jahre alt und hat neue Musik herausgebracht, und jeder ist verrückt danach, es zu kaufen.“ Seine Pläne für eigene weitere Musik sind weniger entschieden. “Ich denke darüber nach. Was die Produktion angeht, ja. Aber was mich selbst angeht, weiß ich nicht. Für mich ist es das einfach nicht wert, sein Herz in ein ganzes Album zu schütten und nur 0.07 Cent aus dem Streaming zu bekommen. Dann lohnt es sich nicht einmal, Songs herauszubringen. Eigentlich ist Streaming eine gute Sache, aber die Musikindustrie sollte sich Zeit nehmen, um die Streaming-Gesellschaften zu treffen und einen Deal für ihre verschiedenen Arten von Künstlern herauszuarbeiten.“ Seine Idee ist gefolgt von einem seiner Lieblingssätze: “Es ist, wie es ist“, begleitet von einem entspannten Lachen.
Mit der Leichtigkeit und Ruhe, die er ausstrahlt, scheint Warren G an einem Punkt im Leben angekommen sein, der Zufriedenheit perfekt nahekommt; ein Mann, der in seine Zukunft mit einer Entspanntheit schauen kann, die genauso groß ist wie der Stolz auf seine Vergangenheit; jemand, der “It`s all good“ sagt und es auch so meint. Dennoch macht ihm die Situation weltweit Sorgen. “Die ganze Welt fühlt sich nicht richtig an. Als wäre es das Ende… So viel passiert: Feuer, Stürme, Polizeigewalt, Sexhandel… Es ist Wahnsinn. Wo führt es nur hin?“
Mit seinen Sorgen spricht er wieder einmal den Menschen aus dem Herzen, eine Fähigkeit, die er sich seit seinen Anfängen bewahrt hat. Wir können nur hoffen, dass es uns in die richtige Richtung führt, und alles gut wird.